Europäisches Statistisches System und Internationale Zusammenarbeit












6.6 Verhaltenskodex für europäische Statistiken (1/3)

Hinweis:
„Qualität statistischer Prozesse und Produkte“ wird ausführlich in Modul 2 behandelt.
Der Verhaltenskodex für europäische Statistiken (Code of Practice) ist die „ethische Charta“ der Datenproduzenten der amtlichen Statistik auf europäischer Ebene. Er soll sicherstellen, dass die amtliche Statistik in allen Mitgliedstaaten nach anerkannten wissenschaftlichen Verfahren, frei von externer Einflussnahme und unter Einhaltung gemeinsamer Qualitätsstandards durchgeführt wird.
Eine überarbeitete Version des Code of Practice wurde im September 2011 verabschiedet, um aktuellen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Für die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder in Deutschland ist er die zentrale Qualitätsleitlinie, an der sich die Erstellung und Verbreitung von Statistiken orientiert.
Ziele: Vertrauen stärken - Qualität verbessern
Der Verhaltenskodex geht zurück auf einen Auftrag des Rates der europäischen Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN-Rat) aus dem Jahr 2004. Dieser hatte die Europäische Kommission aufgefordert, einen Vorschlag für Mindeststandards zur „Stärkung der Unabhängigkeit, Integrität und Rechenschaftspflicht der statistischen Ämter auf nationaler und europäischer Ebene“ vorzulegen. Der Ausschuss für das Europäische Statistische System verabschiedete dann im Mai 2005 den „Verhaltenskodex für europäische Statistiken“. Mit dem Verhaltenskodex als umfassende Qualitätsleitlinie wurden erstmals einheitliche Qualitätsstandards für alle statistischen Ämter im (ESS) definiert.
Der Code of Practice besteht aus 15 Grundsätzen und 82 Indikatoren

Die 15 Grundsätze gliedern sich in folgende Bereiche:
Code of Practice: Der institutionelle Rahmen - Die statistischen Prozesse - Die statistischen Produkte
Der Verhaltenskodex ist damit nicht allein auf die Qualität der statistischen Produkte im ESS fokussiert, sondern erkennt die grundlegende Bedeutung der Prozesse der Statistikerstellung sowie eines geeigneten institutionellen Umfeldes an, das z. B. Unparteilichkeit und Objektivität sichert.
Die 82 Indikatoren, die die Grundsätze erläutern, sollen bedeutsame Aspekte des jeweiligen Grundsatzes benennen und die Einhaltung der allgemeinen Grundsätze überprüfbar machen.
Merke:
Der Verhaltenskodex selbst hat den Charakter einer Selbstverpflichtung der Datenproduzenten im ESS und ist als Ganzes nicht rechtlich verbindlich. Rechtlich verbindlich sind hingegen diejenigen Grundsätze, die als solche in der EU-Statistikverordnung geregelt sind (fachliche Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Objektivität, Zuverlässigkeit, Statistische Geheimhaltung und Kostenwirksamkeit).
Die Arbeiten der nationalen statistischen Ämter müssen dem Code of Practice entsprechen. Hierbei sind Transparenz und Unabhängigkeit der amtlichen Statistik (auch in der täglichen Arbeit) von überragender Bedeutung, wie man an den folgenden Beispielen erkennen kann.

Beispiel 1: Ernennung und Entlassung der Leiterinnen und Leiter der Statistischen Ämter


Als Reaktion auf die verstärkte Diskussion der Unabhängigkeit der amtlichen Statistik, vor allem auch vor dem Hintergrund der Schuldenkrise, wurde im Verhaltenskodex eine starke Stellung der Leiterinnen und Leiter der Statistischen Ämter und, wo relevant, auch der Leiterinnen und Leiter anderer statistischer Stellen durch den zusätzlichen Indikator 1.8 verankert:

Indikator 1.8 - Fachliche Unabhängigkeit

Die Ernennung der Leiterinnen und Leiter der nationalen statistischen Ämter und von Eurostat und gegebenenfalls anderer statistischer Stellen beruht allein auf deren fachlicher Eignung. Die Gründe für die Beendigung der Amtszeit sind gesetzlich festgelegt. Darunter fallen nicht solche Gründe, die die fachliche oder wissenschaftliche Unabhängigkeit beeinträchtigen könnten.

Beispiel 2: Vorabveröffentlichungen


Nach Grundsatz 6 des Verhaltenskodex ist das Statistische Bundesamt verpflichtet, allen Nutzergruppen gleichzeitigen und gleichberechtigten Zugang zu statistischen Daten zu ermöglichen. Dies entspricht im Übrigen auch unserem Selbstbild als unparteilicher, objektiver und damit glaubwürdiger Informationsdienstleister. Vorabinformationen externer Partner sind daher nur in beschränktem Umfang möglich und müssen zudem transparent sein.

Für das Statistische Bundesamt bedeutet dies, dass Pressemitteilungen beispielsweise dem zuständigen Ministerium grundsätzlich erst ab 14 Uhr des Vortages der Veröffentlichung nach Freigabe der Meldung durch die Amtsleitung zur Verfügung gestellt werden. Aufgrund der „Transparenzforderung“ des Verhaltenskodex wird dies auf der Destatis-Webseite öffentlich bekannt gegeben.
Peer Reviews
Die Einhaltung des Verhaltenskodex erfolgt durch eine Reihe von Maßnahmen, die neben Selbstbewertungen der statistischen Ämter auch gegenseitige Überprüfungen durch Fachleute – sogenannte Peer Reviews – umfassen. Diesen wird eine große Bedeutung bei der Verbesserung der Qualität und Unabhängigkeit des ESS beigemessen.
Der erste Peer Review für Deutschland fand vom 3. bis 5. Dezember 2007 im Statistischen Bundesamt statt. Eine zweite Runde von Peer Reviews wurde auf der Basis der Erfahrungen der ersten Peer Reviews eingeleitet. Für Deutschland fand der Besuch der Peers in der ersten Dezemberwoche 2014 statt.
Der Bericht über die Umsetzung des Verhaltenskodex durch das Statistische Bundesamt, in dem sowohl deutsche Projekte mit Modellcharakter für das ESS identifiziert als auch Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt werden, steht auf der Internetseite von Eurostat zum Abruf bereit.
Jährliches Monitoring durch Eurostat
Eurostat bewertet seit 2009 die Fortschritte bei der Umsetzung der Prinzipien des Verhaltenskodex in den Mitgliedstaaten (jährliche Monitoring-Runde). Hierbei werden die Ergebnisse aus den Peer Reviews fortgeschrieben.
Jährliches Compliance Monitoring durch das ESGAB
Im Zusammenhang mit der Umsetzung des Code of Practice existiert seit 2009 das ESGAB. Es richtet jährlich einen umfangreichen Fragebogen zur Umsetzung des Code of Practice an die Mitgliedstaaten. Dieser Fragebogen hat jedes Jahr unterschiedliche thematische Schwerpunkte.