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6.7 Gesetzgebungsverfahren von Statistikrechtsakten (1/3)
Statistikverordnungen werden im sogenannten Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gemäß Art. 294 AEUV verabschiedet. Dieses Verfahren ist das Regelverfahren für alle EU-Rechtsakte. Es besteht in der gemeinsamen Annahme eines Rechtsaktes – typischerweise einer Verordnung – durch das Europäische Parlament und den Rat der EU auf Vorschlag der Kommission. Parlament und Rat sind dabei Co-Gesetzgeber.
Das Gesetzgebungsverfahren und seine Vorbereitung laufen in verschiedenen Phasen:
Phase 1: Beratungen im ESS ... mehr
Im Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene für Statistikrechtsakte legt die Kommission durch ihr Initiativrecht gemäß EU-Vertrag zunächst einen ersten Entwurf für einen Rechtsakt vor. Für die Statistik bedeutet das in der Regel, dass Eurostat den Entwurf formuliert und diesen zuerst auf Arbeitsebene mit den Statistikexperten aus den Mitgliedstaaten diskutiert. Siehe dazu: „Gremien der EU-Statistik“
Hier finden die Diskussionen zunächst in den Arbeitsgruppen, Direktorengruppen und abschließend auf Amtsleitungsebene im AESS statt. Zu beachten ist, dass der AESS nicht formell votiert, sondern seine Meinung mit einfacher Mehrheit abgibt. Idealerweise sollten Entwürfe von europäischen Statistikrechtsakten so umfassend auf statistischer Ebene, d. h. in den relevanten Fachgremien und im AESS, erörtert werden, dass sie später auf Ratsebene zumindest ohne große fachliche Diskussionen verabschiedet werden können. Die Berücksichtigung der Fachkompetenzen der Mitgliedstaaten bereits im Entwurfsstadium erleichtert die spätere Umsetzung des Rechtsakts durch die Mitgliedstaaten und dient insgesamt der Qualität der europäischen Statistik.
Hier finden die Diskussionen zunächst in den Arbeitsgruppen, Direktorengruppen und abschließend auf Amtsleitungsebene im AESS statt. Zu beachten ist, dass der AESS nicht formell votiert, sondern seine Meinung mit einfacher Mehrheit abgibt. Idealerweise sollten Entwürfe von europäischen Statistikrechtsakten so umfassend auf statistischer Ebene, d. h. in den relevanten Fachgremien und im AESS, erörtert werden, dass sie später auf Ratsebene zumindest ohne große fachliche Diskussionen verabschiedet werden können. Die Berücksichtigung der Fachkompetenzen der Mitgliedstaaten bereits im Entwurfsstadium erleichtert die spätere Umsetzung des Rechtsakts durch die Mitgliedstaaten und dient insgesamt der Qualität der europäischen Statistik.
Phase 2: Vorschlag der Kommission ... mehr
Danach leitet die Kommission das formelle Gesetzgebungsverfahren ein, indem sie den Entwurf an das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union (also an die Gesetzgeber und somit an die „politische Ebene“) weiterleitet. Dort wird er als formeller „Vorschlag der Kommission“ weiter verhandelt.
Phase 3: Verhandlungen im Rat und EP ... mehr
Erste Lesung
Das EP berät über den Gesetzesvorschlag der Kommission und legt zunächst mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen (ohne Enthaltungen oder Nichtanwesende zu zählen) einen Standpunkt fest. Das Parlament kann den Vorschlag ohne Änderungen billigen oder Änderungsvorschläge machen. Darauf erfolgt die erste Lesung im Rat der Europäischen Union (Rat). Dieser kann per Beschluss mit qualifizierter Mehrheit entweder den Standpunkt des Parlaments annehmen oder einen eigenen Standpunkt erarbeiten. Bestätigt er den Standpunkt des Parlaments, ist das Verfahren beendet und der Rechtsakt wurde erlassen.
Hat der Rat einen eigenen Standpunkt festgelegt, informiert er das Europäische Parlament über die Gründe seiner Entscheidung. Auch die Kommission legt ihren Standpunkt in der Sache fest. Die Standpunkte des Rates und der Kommission werden an das Parlament zur zweiten Lesung übermittelt.
Zweite Lesung
Mit der Verabschiedung des Standpunkts des Rates und dessen Übermittlung an das Parlament beginnt eine dreimonatige Frist für die zweite Lesung. Das Parlament entscheidet über den Standpunkt des Rates und hat drei Möglichkeiten:
Vermittlungsausschuss
Stimmt der Rat der geänderten Fassung des Parlaments nicht zu, wird ein Vermittlungsausschuss einberufen. Das Verfahren ähnelt dem zwischen Deutschem Bundestag und Bundesrat. Erfolgt innerhalb von 6 Wochen keine Einigung, ist der Rechtsakt gescheitert. Bei einer Einigung geht es weiter in die dritte Lesung von Europäischem Parlament und Rat. Der Rechtsakt kann dann erlassen werden, wenn das Europäische Parlament mit einfacher Mehrheit und der Rat mit qualifizierter Mehrheit zustimmen.
Das EP berät über den Gesetzesvorschlag der Kommission und legt zunächst mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen (ohne Enthaltungen oder Nichtanwesende zu zählen) einen Standpunkt fest. Das Parlament kann den Vorschlag ohne Änderungen billigen oder Änderungsvorschläge machen. Darauf erfolgt die erste Lesung im Rat der Europäischen Union (Rat). Dieser kann per Beschluss mit qualifizierter Mehrheit entweder den Standpunkt des Parlaments annehmen oder einen eigenen Standpunkt erarbeiten. Bestätigt er den Standpunkt des Parlaments, ist das Verfahren beendet und der Rechtsakt wurde erlassen.
Hat der Rat einen eigenen Standpunkt festgelegt, informiert er das Europäische Parlament über die Gründe seiner Entscheidung. Auch die Kommission legt ihren Standpunkt in der Sache fest. Die Standpunkte des Rates und der Kommission werden an das Parlament zur zweiten Lesung übermittelt.
Zweite Lesung
Mit der Verabschiedung des Standpunkts des Rates und dessen Übermittlung an das Parlament beginnt eine dreimonatige Frist für die zweite Lesung. Das Parlament entscheidet über den Standpunkt des Rates und hat drei Möglichkeiten:
- Ablehnung mit absoluter Mehrheit (der Mitglieder): Der Rechtsakt ist gescheitert. Die Kommission kann jedoch einen grundlegend überarbeiteten Vorschlag vorlegen (wodurch ein neues Verfahren eingeleitet wird).
- Annahme mit einfacher Mehrheit (der abgegebenen Stimmen) oder kein Beschluss: Der Rechtsakt ist in der Fassung des Standpunktes erlassen.
- Annahme von Änderungsvorschlägen (mit absoluter Mehrheit der Mitglieder).
- binnen drei Monaten billigen – der Rechtsakt wäre dann erlassen – oder
- binnen drei Monaten ablehnen oder in der Frist keinen Beschluss fassen. In diesem Fall wird ein Vermittlungsausschuss einberufen.
Vermittlungsausschuss
Stimmt der Rat der geänderten Fassung des Parlaments nicht zu, wird ein Vermittlungsausschuss einberufen. Das Verfahren ähnelt dem zwischen Deutschem Bundestag und Bundesrat. Erfolgt innerhalb von 6 Wochen keine Einigung, ist der Rechtsakt gescheitert. Bei einer Einigung geht es weiter in die dritte Lesung von Europäischem Parlament und Rat. Der Rechtsakt kann dann erlassen werden, wenn das Europäische Parlament mit einfacher Mehrheit und der Rat mit qualifizierter Mehrheit zustimmen.
Qualifizierte Mehrheit
(Art. 238 AEUV, Art.16 IV EUV)
Prinzip der doppelten Mehrheit (ab November 2014)
Verfahren nach dem Vertrag von Nizza (übergangsweise)
Gewichtete Abstimmung:
Hierbei werden die Stimmen der einzelnen Mitgliedstaaten gewichtet. D. h., jedem Mitgliedstaat wird jeweils eine bestimmte Anzahl an Stimmen zugewiesen, die von 3 Stimmen für kleinere Mitgliedstaaten (Malta) bis 29 Stimmen für große Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien) reicht. Für die Verabschiedung eines Rechtsakts ist notwendig:
(Art. 238 AEUV, Art.16 IV EUV)
Prinzip der doppelten Mehrheit (ab November 2014)
- Mehrheit von mindestens 55 % der Mitglieder des Rates
- (Mindestens 15 Mitglieder, Sperrminorität 4 Mitglieder)
- demographischer Faktor (65 % der EU-Bevölkerung)
Verfahren nach dem Vertrag von Nizza (übergangsweise)
Gewichtete Abstimmung:
Hierbei werden die Stimmen der einzelnen Mitgliedstaaten gewichtet. D. h., jedem Mitgliedstaat wird jeweils eine bestimmte Anzahl an Stimmen zugewiesen, die von 3 Stimmen für kleinere Mitgliedstaaten (Malta) bis 29 Stimmen für große Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien) reicht. Für die Verabschiedung eines Rechtsakts ist notwendig:
- eine Mehrheit von 260 der 352 gewichteten Stimmen
- Auf Antrag eines Mitgliedstaates muss darüber hinaus festgestellt werden, ob die zustimmenden Mitgliedstaaten mindestens 62 Prozent der EU-Bevölkerung umfassen.
Ratsarbeitsgruppe Statistik
Für die Statistiker spielt die RAG als Vorbereitungsgremium für den Rat eine wichtige Rolle. Das Statistische Bundesamt und ein ständiger Vertreter der Statistischen Landesämter (durch Beschluss des Bundesrates ist dies das Statistische Landesamt Baden-Württemberg, für die Agrarstatistik ist es Statistik Nord) sind in die Verhandlungen auf Ratsebene durch die Sitzungen der Ratsarbeitsgruppe Statistik in Brüssel eingebunden. Die deutsche Delegation wird in der Regel geleitet von einem weisungsbefugten Vertreter des fachlich zuständigen Bundesressorts.
Für die Statistiker spielt die RAG als Vorbereitungsgremium für den Rat eine wichtige Rolle. Das Statistische Bundesamt und ein ständiger Vertreter der Statistischen Landesämter (durch Beschluss des Bundesrates ist dies das Statistische Landesamt Baden-Württemberg, für die Agrarstatistik ist es Statistik Nord) sind in die Verhandlungen auf Ratsebene durch die Sitzungen der Ratsarbeitsgruppe Statistik in Brüssel eingebunden. Die deutsche Delegation wird in der Regel geleitet von einem weisungsbefugten Vertreter des fachlich zuständigen Bundesressorts.
Ratsarbeitsgruppe Statistik
Die 2003 eingesetzte Ratsarbeitsgruppe „Statistik“ arbeitet als Vorbereitungsgremium des Rates der EU. Dies ist im Bereich Statistik in der Regel der ECOFIN-Rat. Hauptaufgabe der Ratsarbeitsgruppe, in der alle EU-Mitgliedstaaten vertreten sind, ist die Diskussion von Statistikrechtsakten bis zur Verabschiedungsreife im Rat. Die Ratsarbeitsgruppe tagt mehrmals jährlich in Brüssel.
Teilnehmer von deutscher Seite in der Ratsarbeitsgruppe „Statistik“ sind das jeweils fachlich betroffene Ressort (federführend), eine Vertreterin oder ein Vertreter des Statistischen Bundesamtes sowie ein ständiger Vertreter der Statistischen Landesämter (durch Beschluss des Bundesrates ist dies das Statistische Landesamt Baden-Württemberg, für die Agrarstatistik ist es Statistik Nord).
Vorsitz
Den Vorsitz hat jeweils das Statistikamt des Mitgliedstaates, der in dem jeweiligen Halbjahr den EU-Ratsvorsitz hat. Der Präsident des Statistischen Bundesamtes hatte 2007 den Vorsitz in der Ratsarbeitsgruppe. Das Präsidentschaftsteam hatte damals die Aufgabe, 27 in Beratung befindliche Statistikrechtsakte auf europäischer Ebene voranzutreiben. Der Vorsitz in einer Ratsarbeitsgruppe ist insgesamt eine sehr spannende und anspruchsvolle Aufgabe, da Verhandlungen mit allen Mitgliedstaaten, der Kommission und dem Europäischen Parlament zu führen sind, um tragfähige Kompromisstexte zu erarbeiten.
Rechtssetzung durch die Kommission (Komitologie und Delegierte Rechtsakte)
Delegierte Rechtsakte
Grundsätzlich sind die Gesetzgeber auf europäischer Ebene das Europäische Parlament und der Rat. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde der Kommission aber ausnahmsweise auch eine Funktion als Gesetzgeber übertragen, und zwar im Rahmen sogenannter Delegierter Rechtsakte.
Art. 290 AEUV
Delegierte Rechtsakte
Delegierte Rechtsakte sind Rechtsakte der Kommission zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften eines Basisrechtsakts von Europäischem Parlament und Rat.
Delegierte Rechtsakte
Delegierte Rechtsakte sind Rechtsakte der Kommission zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften eines Basisrechtsakts von Europäischem Parlament und Rat.
Die Kommission darf dabei die Arbeit des Gesetzgebers (also die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates) nur ergänzen oder nur in Teilen ändern. Diese Ermächtigung gilt zudem ausschließlich im Rahmen der vom Gesetzgeber gesetzten Schranken. Dieser ist verpflichtet, Ziel, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung auf die Kommission in der jeweiligen Rahmenverordnung ausdrücklich festzulegen. Die wesentlichen Aspekte eines Rechtsaktes sind dem Gesetzgebungsakt vorbehalten, hier ist eine Übertragung der Befugnis deshalb ausgeschlossen.
Beispiele für wesentliche Inhalte, die in den Basisrechtsakten (Verordnungen von Europäischem Parlament und Rat) geregelt werden müssen:
- Regelungssachverhalt (Geltungsbereich)
- Definitionen, Variablen, Annexe
- Methoden
- Erhebungsbereich (auch Module)
- Liefertermin, erstes Berichtsjahr
Durchführungsbestimmungen
Häufig geben Statistikverordnungen des Rates und des Parlaments nur den groben Rahmen zur Durchführung einer Statistik vor (Basisrechtsakt). Details können von der Kommission in Durchführungsbestimmungen festgelegt werden, wenn der Rat der Kommission diese Kompetenz in einem Basisrechtsakt zuweist.
Für das Zustandekommen dieser Durchführungsbestimmungen gelten bestimmte Regeln, die in einer speziellen Verordnung‚ zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, enthalten sind.
Über die entsprechenden Entwürfe stimmen die Amtsleitungen der Statistikämter im AESS, wie bei Basisrechtsakten, mit qualifizierter Mehrheit ab. Der AESS ist hier unmittelbar in den Gesetzgebungsprozess eingebunden und letzte Instanz. Achtung: Zur Ablehnung einer Durchführungsverordnung ist im AESS eine qualifizierte Mehrheit erforderlich (nicht für die Zustimmung).
Art. 291 AEUV
Durchführungsbestimmungen
Durchführungsbestimmungen regeln die zur Durchführung eines Rechtsakts erforderlichen Maßnahmen wie zum Beispiel technische Regelungen, Übermittlungsformate, mögliche Ausnahmen für Mitgliedstaaten oder Formate der Datenübermittlung. Sie sind somit klassische Durchführungsmaßnahmen. Dass diese von der KOM erlassen werden, dient der Schaffung einheitlicher Bedingungen für die Durchführung der EU-Rechtsakte in den Mitgliedstaaten.
Durchführungsbestimmungen
Durchführungsbestimmungen regeln die zur Durchführung eines Rechtsakts erforderlichen Maßnahmen wie zum Beispiel technische Regelungen, Übermittlungsformate, mögliche Ausnahmen für Mitgliedstaaten oder Formate der Datenübermittlung. Sie sind somit klassische Durchführungsmaßnahmen. Dass diese von der KOM erlassen werden, dient der Schaffung einheitlicher Bedingungen für die Durchführung der EU-Rechtsakte in den Mitgliedstaaten.
Die folgende Grafik fasst die wesentlichen Merkmale von Delegierten Rechtsakten und Durchführungsverordnungen zusammen.
Merke:
Die Entscheidung, ob ein Sachverhalt im Basisrechtsakt, in einem Delegierten Rechtsakt oder einem Durchführungsrechtsakt getroffen werden soll, obliegt dem Gesetzgeber und ist stets im Einzelfall (case by case) und unter Berücksichtigung der Einschätzung der Experten zu treffen.
Die Entscheidung, ob ein Sachverhalt im Basisrechtsakt, in einem Delegierten Rechtsakt oder einem Durchführungsrechtsakt getroffen werden soll, obliegt dem Gesetzgeber und ist stets im Einzelfall (case by case) und unter Berücksichtigung der Einschätzung der Experten zu treffen.
Materialien zum Download und Weblinks